Institut für deutsche Literatur

Institut für deutsche Literatur | Netzwerk Gelehrte Polemik

DFG-Netzwerk Gelehrte Polemik


 
Wissenshistorische Analysen intellektueller Konfliktverschärfung, 1600–1800

Die Untersuchung sowohl der historischen Wahrnehmungsweisen von intellektueller Polemik und der Begründungsmodelle für gelehrten Streit als auch der rhetorischen Verfahren und materiellen Medien des Polemisierens stand im Zentrum des Wissenschaftlichen Netzwerks Gelehrte Polemik, das von Wissenschaftlern der Humboldt-Universität zu Berlin und der Justus-Liebig-Universität Gießen koordiniert und von 2011 bis 2014 mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wurde.

 

Ergebnisse

Im DFG-Netzwerk Gelehrte Polemik wurde die 'Schärfe' in intellektuellen Kontroversen in der europäischen Gelehrtenrepublik im Zeitraum von 1600 bis 1800 rekonstruiert. In den wegweisenden Studien zur akademischen Streitkultur, die in den letzten Jahrzehnten vorgelegt wurden, bestand disziplinübergreifend Konsens über die eminente Bedeutung der Polemik im Entstehungskontext der frühmodernen Gelehrsamkeit. Gleichwohl wurden bisher kaum disziplinübergreifende Versuche unternommen, die unterschiedlichen Felder der historischen Polemikforschung zusammenzuführen. Das wurde durch die interdisziplinäre Anlage der Arbeit im Netzwerk geleistet. Das Netzwerk hat auf der Basis des aktuellen theoretischen und methodischen Forschungsstandes eine disziplinenübergreifende Polemikforschung entwickelt und dafür folgende drei erkenntnisleitende Fragekomplexe herausgearbeitet:

  • Foren der Polemik: Das Netzwerk hat Strategien der gelehrten Konfliktführung im Spannungsfeld von Öffentlichkeit und Privatheit situiert, um neben dem öffentlichen Streit auch mehr oder weniger private Formen der Polemik zu berücksichtigen.

  • Disziplinen der Polemik: Polemik wurde für den Untersuchungszeitraum als 'Innovationsmotor' rekonstruiert. Sie war mithin Ausgangspunkt und Antrieb von Verwissenschaftlichungsschüben und wissenschaftlichen Ausdifferenzierungsprozessen. Zugleich führten Gelehrtenstreitigkeiten zu einer Spezialisierung des wissenschaftlichen Feldes in Expertenkulturen.

  • Einsätze der Polemik: Polemik war ein Medium gelehrter Rangstreitigkeiten. In gelehrten Polemiken artikulierten sich, wie rekonstruiert werden konnte, Spannungen zwischen einem egalitären Gelehrtenideal und einer faktisch hierarchisch operierenden Wissenschaftspraxis.

Diese Ergebnisse veranschaulichen, dass für Gelehrte der Frühen Neuzeit neues Wissen ohne Streit nicht zu haben war. Die Kunst bestand nicht darin, Polemiken zu vermeiden, sondern sie wahrheitsdienlich zu führen. Auch im 19. Jahrhundert behielten die Streitlust und Streitkunst ihren Platz im Wissenschaftsbetrieb, für Gelehrte war die Polemik weiterhin ein essentieller Bestandteil des wissenschaftlichen Umgangs. Der komperative Ansatz des Netzwerks erlaubt vor diesem Hintergrund auch die nähere Betrachtung der Gegenwart: Blickt man aus der Perspektive des Netzwerks auf die Diskussionskultur der Gegenwart, so muss von einem entschieden anderen Status von Polemik im akademischen Betrieb ausgegangen werden.

 

Mitglieder

Andrea Albrecht, Germanistik, Stuttgart (Homepage)

Sibylle Baumbach, Anglistik, Mainz (Homepage)

Kai Bremer, Germanistik, Gießen (Homepage)

Mark-Georg Dehrmann, Germanistik, Hannover (Homepage)

Markus Friedrich, Geschichte, Hamburg (Homepage)

Caspar Hirschi, Geschichte, St. Gallen (Homepage)

Cornelis Menke, Philosophie, Bielefeld (Homepage)

Alexander Nebrig, Germanistik, Berlin (Homepage)

Carlos Spoerhase, Germanistik, Berlin (Homepage)

Anita Traninger, Romanistik, Berlin (Homepage)

Klara Vanek, Medizingeschichte, München (Homepage)

Christopher Voigt-Goy, Religionsgeschichte, Mainz (Homepage)

 

Assoziierte

Rainer Godel, Germanistik, Halle (Homepage)

Doris H. Lehmann, Kunstgeschichte, Bonn (Homepage)

Kerstin Lundström, Germanistik, Stockholm (Homepage)

Michael Multhammer, Germanistik, Freiburg (Homepage)

Ines Peper, Geschichte, Wien (Homepage)

Andreas Pietsch, Geschichte, Münster (Homepage)

Dirk Rose, Germanistik, Düsseldorf (Homepage)

Thomas Wallnig, Geschichte, Wien (Homepage)

 

Arbeitstreffen

Planungstreffen: 23.–25.9.2009 im Graduate Centre for the Study of Culture (Gießen)

1. Arbeitstreffen: 3.–5.10.2011 im Graduate Centre for the Study of Culture (Gießen)

2. Arbeitstreffen: 27.–29.9.2012 in der Vadiana (St. Gallen)

3. Arbeitstreffen: 25.–27.3.2013 im Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (Mainz)

4. Arbeitstreffen: 2.–4.10.2013 im Centre Marc Bloch (Berlin)

5. Arbeitstreffen: 30.9.–2.10.2014 im Warburghaus (Hamburg)

Abschlussveranstaltung: 5.12.2014 im Deutschen Theater (Berlin)

 

Audioaufzeichnung

Konferenz: Intellektuelle Beißhemmung, Deutsches Theater Berlin, 5.12.2014; vollständige Dokumentation der Veranstaltung auf dem Blog des MERKUR: Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken.

 

Publikationen

Kai Bremer und Carlos Spoerhase (Hrsg.): Gelehrte Polemik: Intellektuelle Konfliktverschärfungen um 1700. Frankfurt am Main 2011.

Kai Bremer und Carlos Spoerhase (Hrsg.): „Theologisch-polemisch-poetische Sachen“. Gelehrte Polemik im 18. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2015.

 

Reaktionen

„An enormously successful and wide-ranging research group at the Humboldt University in Berlin produced the two volumes on Gelehrte Polemik. They have recovered scholarly conflict as a colossal fact of early modern intellectual life, shown that it was often constructive and innovative, and reminded us that polemic could become a potent experiment in creating a wider public audience for scholarship.“ Kristine Louise Haugen in History of Humanities 1 (2016) H. 2 <Download>.

 

Kontakt

Dr. Carlos Spoerhase
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für deutsche Literatur
Unter den Linden 6
D-10099 Berlin
Homepage

Dr. Kai Bremer
Justus-Liebig-Universität Gießen
Institut für Germanistik
Otto-Behaghel-Str. 10 B
D-35394 Gießen
Homepage