Institut für deutsche Literatur

Forschungsprofil


 

Wie lässt sich heute Literatur- und Kulturgeschichte der DDR erforschen?

Nach literaturhistorischen Forschungsprojekten, die vorrangig sozialgeschichtlich, dann kanontheoretisch inspiriert waren, publizierte ich 2011 (Wolfgang Hilbig) und 2019 (Christa Wolf) zwei  Autorenbiographien.  

 

Seit 2015 baue ich am Institut für deutsche Literatur der HU die Arbeitsstelle Privatbibliothek Christa und Gerhard Wolf auf. Ausgangspunkt der Arbeitsstelle ist die am 3. September 2015 erfolgte Schenkung der wertvollen und umfangreichen Privatbibliothek von Christa und Gerhard Wolf an die Humboldt-Universität. Den großzügigen Akt verstehen wir als Verpflichtung, das Werk der Schriftstellerin Christa Wolf und des Verlegers, Herausgebers und Essayisten Gerhard Wolf lebendig zu halten und die Auseinandersetzung mit ihren Texten und ihrem öffentlichen Wirken weiterzuführen. Die Arbeitsstelle kooperiert mit der 2014 gegründeten Christa Wolf Gesellschaft. Wie im Falle der am Institut bereits  seit 2000 verankerten und als Heiner Müller Archiv/ Transitraum philologisch-editorisch genutzten Privatbibliothek Heiner Müllers handelt es sich bei der mehr als 330 Regalmeter Bücher und Zeitschriften umfassenden Arbeitsbibliothek der Wolfs um eine autobiographisch und zeithistorisch bedeutende Sammlung. Mit ihr wird nicht nur ein Dokument der intellektuellen Biographie zweier Autoren des 20. Jahrhunderts öffentlich zugänglich, sondern auch das Erbe zweier Philologen mit Bezug zur Universität. Ziel der Arbeitsstelle ist es, das Werk von Christa und Gerhard Wolf lebendig zu halten, die Auseinandersetzung mit deren Texten, mit ihren Mentorschaften, deutsch-deutschen und internationalen Beziehungen und ihrem öffentlichem Wirken weiterzuführen und vor allem auch – gerade unter jüngeren Leuten - anzuregen. Darüber hinaus soll die Arbeitsstelle im Umfeld der Wolf-Bibliothek zur Plattform von über das Werk der Wolfs hinausgehenden Forschungen zur Literatur im geteilten Deutschland werden.
Zu den Aktivitäten gehören neben Seminaren mit Bezug auf das Werk der Wolfs seit Januar 2015 Workshops der studentischen AG „Christa Wolf Andernorts“ mit dem Onlineauftritt „Christa Wolfs Berlin“ auf einem eigenen Blog (christawolf.berlin), eine öffentliche Gesprächsreihe und (koordiniert von Dr. Anke Jaspers, Universität Graz) der Aufbau eines Netzwerks internationaler Nachwuchswissenschaftler_innen mit einem ständigen Sommerkolloquium seit  2016 - vgl. www.christa-wolf-gesellschaft.de.
 

 

Seit 2019 arbeite ich in dem von Prof. Dr. Steffen Martus geleiteten DFG-Forschungsprojekt  „Forschungsplattform Literarisches Feld DDR: Autor*innen, Werke, Netzwerke. Pilotprojekt: Die Student*innen des Instituts für Literatur „Johannes R. Becher Leipzig" mit.  https://www.projekte.hu-berlin.de/de/ddr-literatur oder
www.ddr-literatur.de
 

 

 

 

Sonstige Forschungschwerpunkte:

Zur Materialität von Literatur und zur Erforschung von Autor_innenbibliotheken Lese- und Gebrauchsspuren; Exemplargeschichten und "Biographien von Büchern"

 

 

Interdependenzen und Alteritäten: Die Herausbildung der Jugendforschung zwischen Geschlechterdiskurs und Modernekritik

In meiner Habilitation widmete ich mich der Formierung des transdisziplinären Diskurses über Jugend. Dazu waren literarische, philosophische und künstlerische Debatten der Jahrhundertwende mit solchen der entstehenden Psychoanalyse, Soziologie und Jugendforschung, der Pädagogik, des Rechts und der Schulpolitik und den zeitgenössischen Geschlechterdebatten in einen Zusammenhang zu stellen. Ich kam zu dem bildungsgeschichtlich und pädagogisch relevanten Befund, dass die Lebensphase der Jugend erst im Zuge der beschleunigten Modernisierungsprozesse um 1900 eine Aufwertung gegenüber dem Alter erfuhr. Jugend, so stellte ich fest, wurde zur Signatur des 20. Jahrhunderts. Erst jetzt geriet sie als eigenständige Lebensphase ins Zentrum der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit. Von Beginn an wurde die jeweils junge Generation zugleich zum Gegenstand idealisierender Projektionen und zum politisch umkämpften wie pathologisierten und misstrauisch überwachten Objekt. In der öffentlichen Wahrnehmung um 1900 überlagerten sich viel ältere Jugendmythen mit neuen Ängsten. Der in Deutschland von dem US-amerikanischen Psychologen und Ethnologen Stanley Hall übernommene ambivalenzgeladene Begriff der Adoleszenz ist ein Zeugnis dieser paradoxen Überdeterminierung. Unter Psychoanalytiker_innen erregte vor allem die neu ins Blickfeld geratene kindliche und jugendliche Sexualität Verdacht - Freuds Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben (1909) kündet davon ebenso wie die Monographie der Pädagogin und Laienanalytikerin Hermine Hug-Helmuth Aus dem Seelenleben des Kindes (1913). Jugend wurde damit, so mein Ergebnis, neu konzeptioniert: Der Kult  der Jugend wurde zur Krisenbewältigungsstrategie. Als Gegensymbol zu 'Alter'/Tradition wurden „die Jungen“ sowohl für konservativ-kulturkritische als auch für linksbürgerliche und proletarische politische Bewegungen attraktiv. Vor allem die Schuljugend wurde ab den 1890er Jahren von allen Seiten umkämpft, wie ich anhand der widersprüchlichen Geschichte der Reformpädagogik um Gustav Wyneken und der Wandervogelbewegung um Hans Blüher, an den männerbündischen Strukturen des George-Kreises, an der Jugendkulturbewegung um Walter Benjamin und Friedrich Heinle und an kulturkritischen Schriften Rudolf Borchardts nachweisen konnte. Von der Schulkritik in den Adoleszenzromanen um 1900 über die Kriminalisierungs- und Pathologisierungstendenz in der entstehenden Jugendfürsorge, dem Jugendstrafrecht und der Jugendforschung Ellen Keys oder Siegfried Bernfelds bis zu den politischen Einflussversuchen über die Jugendorganisationen aller Parteien lässt sich dieses neue gesellschaftliche Kampffeld rekonstruieren. Dabei fällt auf, dass sich die gesellschaftliche Aufwertung unausgesprochen nur auf einen kleinen Teil der realen Jugend bezog: auf bürgerliche männliche Jugendliche. Nur als männliche verkörperte Jugend „das Geschlecht der Zukunft“.

Mein über Disziplingrenzen hinausgehendes methodisches Vorgehen erwies sich als geradezu notwendig, griffen doch nicht nur die Jugendforscher_innen Charlotte Bühler und Eduard Spranger nahezu unreflektiert auf literarische Quellen zurück, um ihre Erziehungstheorien zu begründen. Literatur war entscheidend an der Formierung dessen beteiligt, was in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Wissen über Kinder und Jugendliche kursierte.

 

Orte/Praktiken/Akteure und Autoritäten der literarischen Produktion von (Geschlechter)Wissen

  • Am Beispiel historischer und neuester Konstruktionen von „deutscher Mütterlichkeit“ in den Medien Blog, Sachbuch, Dokumentar- und Spielfilm, Publizistik, Roman, Autobiographie und Biographie
  • Interdependenzen von Alter, sozialer Herkunft, „Rasse“ und Geschlecht in der deutschen Literaturgeschichte
  • Geschlechtersubtexte der Shoah
  • Generation als Ordnungsmuster und politisches Instrument