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Nachruf für Jost Hermand

© Niels Leiser
© Niels Leiser

Prof. Dr. Jost Hermand

11. April 1930 † 9. Oktober 2021

 

Wie kein anderer war Jost Hermand der Repräsentant der großen Vorlesung zu zentralen Themen der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte als der er, ständiger Gastprofessor seit 2003, an die Humboldt Universität zurückkehrte. Für zweieinhalb Jahre war er in den 1950er Jahren als jugendlicher Mitarbeiter des Altmeisters der Kunstgeschichte, Richard Hamann, schon einmal hier, bis beide 1956 aus der DDR ausgewiesen wurden. Und eben hier wurde von beiden das künftige Standardwerk „Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus“ für den Akademie Verlag ausgearbeitet. Seit 1958 in den USA, an der University of Wisconsin in Madison, wurde Hermand seitdem durch eine Vielzahl von Büchern zur Geschichte von Kunst, Literatur und Musik, zur Wissenschaftsgeschichte und Methodologie der Literaturwissenschaft, zu der Autorität, die wir kennen. Zudem zu einem bekennenden Kulturwissenschaftler vor allen Innovationen auf diesem Gebiet. Unverkennbar auch sein Bekenntnis zu einer Wissenschaft, die politisch denkt und es mit der Aufklärung und dem Fortschritt hält: entgegen einer Vergesellschaftung im Zeichen von Mehrwert, Profit und Egoismus. Daher war er  mit seinen Büchern zu Jakobinismus, Vormärz und jüdischem Leben stets auf der Seite der ‚unerledigten‘ Geschichte von Protest und Widerstand; daher war er im eigenen Leben und in der Wissenschaft mit seinen Büchern zur Ökologie ein Freund von Natur und Umwelt, ein  Mahner und Ratgeber zur Gemeinsamkeit entgegen den gegenwärtigen Auswüchsen der Individualkultur. Und daher, natürlich, seine literarhistorischen Favoriten, Heine, immer wieder, und Brecht,  Arnold Zweig und Heiner Müller, seine Aufmerksamkeit und sein Interesse für die verfolgten jüdischen Sozialisten und Sozialistinnen und auch die wenigen in der Fachschaft angekommenen  „Partisanenprofessoren“, wie er sagte, Werner Krauss und Wolfgang Abendroth zum Beispiel  oder auch Werner Mittenzwei. Zum zwanzigjährigen Bestehen der Mosse-Lectures an der Humboldt-Universität hielt er 2017 dem Freund und Kollegen George Mosse den Festvortrag, zu seinem Vermächtnis als „deutscher Jude“. 

Jost Hermand ist am 9. Oktober 2021 in Madison gestorben. Seiner zu gedenken heißt zu erinnern, so hätte er es sicher gewollt, was ihm sein Wissenschaftlerleben so wertvoll machte.

Klaus R. Scherpe

 

Mosse-Lecture mit Jost Hermand: https://youtu.be/-iHe-2cWfkA?list=PLFA2YP4mVSum8Pb9xUKejSBsa1QCn7y5M