Institut für deutsche Literatur

Naomi Wilzig (1934-2015) - Ein Nachruf

Naomi Wilzig (1934–2015) – Ein Nachruf

 

Dr. h. c. Naomi Wilzig (5. Dezember 1934 – 7. April 2015)

 

Als Sammlerin, Mäzenin und Direktorin des World Erotic Art Museum (WEAM) in Miami erlangte Naomi Wilzig große Bekanntheit, Beliebtheit und Anerkennung. Ihre Sammlung zur erotischen Kunst ist ein international bedeutsames Zeugnis für die Kulturgeschichte der Sexualität. Für ihre Verdienste verlieh ihr das Institute for Advanced Study of Human Sexuology in San Francisco 2011 die Ehrendoktorwürde.

 

Das WEAM war ihre Lebensleistung. Es ist bislang die einzige Sammlung erotischer Kunst, die von einer Frau aufgebaut wurde. Die amerikanische Presse hat Naomi Wilzig deswegen liebevoll zur Queen of Erotic Art gekürt.

 

Naomi Wilzig war die Witwe des Großindustriellen und Bankiers Siegbert Wilzig (1926-2003), der als Holocaust-Überlebender nach seiner Befreiung aus dem KZ Auschwitz in die USA emigrierte. Frau Wilzig, aufgewachsen in jüdisch-orthodoxen Familienverhältnissen, widmete ihrem Ehemann einen Gedichtband und engagierte sich für die Errichtung des Holocaust-Mahnmals in Miami.

 

Mit Leidenschaft und unbefangener Neugier begann sie in den 1980er Jahren, Werke erotischer Kunst und Zeugnisse zur Kulturgeschichte der Sexualität zu sammeln. Durch das beständige Studium der Fachliteratur erlangte sie auf diesem Gebiet eine allseits gefragte und bewunderte Expertise. Sie richtete ihre Sammlung an historischen Vorbildern aus und ließ sich insbesondere vom Bilderlexikon der Erotik (Wien, 1928) inspirieren, das sich auf Magnus Hirschfeld und sein sexualhistorisches Museum am Berliner Institut für Sexualwissenschaft (1919-1933) stützte.

 

Naomi Wilzig gründete 2005 im Herzen von Miami Beach das inzwischen weltbekannte Museum, um ihre Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das WEAM, das in keinem Reiseführer fehlt und als eine der Hauptsehenswürdigkeiten Miamis gilt, erzählt eine besondere Geschichte der Menschheit. Naomi Wilzig präsentierte ihre Sammlung mit dem Anspruch, der Öffentlichkeit ein historisch und kulturell umfassendes Bild der erotischen Kunst zu vermitteln. Sie erklärte, dass sie eine sinnliche Erfahrung von der Lust und dem Schmerz der Liebe vermitteln und eine Botschaft der Toleranz senden wollte, um die Gemeinschaft und Unterschiedlichkeit aller Menschen zu würdigen.

 

Naomi Wilzig war eine liebenswürdige, kluge und selbstbewusste Frau, eine unermüdlich tätige Museumsdirektorin, eine beeindruckende und interessierte Gastgeberin und eine großzügige Mäzenatin. Im letzten Jahr überraschte sie die Gäste ihrer 80. Geburtstagsfeier mit einer hochkarätigen Can-Can-Show aus Paris und stiftete am nächsten Tag ihrer jüdischen Gemeinde eine kostbare Tora.

 

Wir hatten das große Glück und die große Freude, seit 2014 mit Naomi Wilzig gemeinsam an der Erfüllung ihres Wunschs arbeiten zu dürfen, die Sammlungen des WEAM an die Berliner Humboldt-Universität zu bringen. Sie war begeistert von der Idee, auf diese Weise einen historischen Verlust auszugleichen, der 1933 durch die nationalsozialistische Plünderung des Hirschfeld-Instituts und seiner Sammlungen in Berlin entstanden war.

 

Wir trauern um Naomi Wilzig. Es erfüllt uns mit Schmerz, dass Sie die Verwirklichung Ihres Wunsches nicht mehr erleben kann.

 

Prof. Dr. Andreas Kraß, Andreas Pretzel